Warum ich Lingo Lab gegründet habe
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Als ich im P.A.N. Zentrum in Berlin angefangen habe, hatte ich in der ersten Woche einen Patienten, der war 43 Jahre alt und hatte vor 3 Jahren einen Schlaganfall erlitten. Er war intelligent und aufmerksam, konnte sich gut konzentrieren und hatte ein sehr gutes Situationsverständnis. Seine Aphasie war ausgeprägt. Dieser Patient produzierte nur ein einziges Wort zur Kommunikation: „Egal“. Das nutzte er – oft auch augenzwinkernd – für alle Lebenslagen und Kommunikationssituationen: Wie geht es Dir heute? Egal. Wie war Dein Wochenende? Egal. Woran möchtest Du heute arbeiten? Egal. Möchtest Du auch einen Kaffee trinken? Egal. u s. w. Er kam damit einigermaßen zurecht und drückte so nach meinem Empfinden seine Resignation gegenüber seinem Leben, seiner Person und der Welt aus, in der er sich eingerichtet hatte. Eigene Gespräche initiierte er nicht. Es blieb bei Reaktionen.
Kommunikation ist nicht egal
Nachdem ich ihn schon einige Wochen behandelt hatte und wir den Schwerpunkt auf das Sprachverständnis für Sätze und semantische Relationen gelegt hatten, entdeckte ich bei einem Besuch auf seinem Zimmer ein Kommunikationsgerät, das mit vielen sprechenden Feldern zu allen möglichen Themenbereichen des täglichen Lebens ausgestattet war. Ich schaute es mir an und war begeistert von den Möglichkeiten. Auf die Anregung hin, damit zu arbeiten, zuckte mein Patient mit den Schultern und schüttelte dann den Kopf. Er winkte ab und äußerte damit eine klare Meinung. Er wollte sich nicht damit beschäftigen. Ich habe das zu dem Zeitpunkt nicht verstanden. Ich sah die Möglichkeiten und erwartete, dass der Patient dies auch sehen würde. Ich musste aber akzeptieren, dass das Gerät und die darauf installierte Software – so gut, das auch durchdacht und gemeint war – meinem Patienten offensichtlich nicht nutzte.
Trotz Aphasie und Sprechapraxie kommunizieren
Auch andere Bewohner:innen mit Aphasie sahen das ähnlich. Sie hatten Geräte, die ihnen die Kommunikation erleichtern sollten, verordnet und bewilligt bekommen und legten sie dann ordentlich verpackt in den Schrank. Außer Michael, der war 36 Jahre alt, hatte ebenfalls eine globale Aphasie mit Sprechapraxie und seit der Kindheit eine Lernbehinderung. Gearbeitet hatte er in verschiedenen Hilfsarbeiterstellen und lebte seit jeher sehr bescheiden. Er hatte eine Freundin, die regelmäßig zu ihm in die Einrichtung kam und die er mit der S-Bahn am Wochenende besuchte. Er arbeitete seit kurzem in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und ging dort sehr gerne hin. Er erzählte mir das alles mithilfe seines iPads. Das war fester Bestandteil seiner Alltagskommunikation und er nutzte die unterschiedlichsten Apps und Funktionen, um ein Gespräch zu führen. Er zeigte mir Fotos von seiner Werkstatt, nutzte eine Kommunikations-App, um mir seine Familie vorzustellen, zeigte auf Google Maps den Weg zu seiner Freundin nach Haus und im Kalender, wann er das nächstemal fahren wollte. Es war bei unserer ersten Begegnung kein Problem, sich eine ganze Stunde lang über seinen Alltag zu unterhalten, obwohl er außer „Ja“ und „Nee“ nur wenige einzelne phonologisch veränderte Wörter sprechen konnte.
Kommunizieren zu können macht froh
Michael wirkte lebensfroh und motiviert trotz seiner gravierenden Schlaganfallfolgen. Warum konnte er ein elektronisches Gerät so gewinnbringend für seine Kommunikation nutzen und andere, die eine ähnliche Problematik haben, nicht? Die Frage hat mich so beschäftigt, dass sie mich zu meinem Masterthema geführt hat.
Gute digitale Sprachtherapie
Ich habe mich sehr intensiv mit dem Thema elektronische Hilfen bei Aphasie beschäftigt und viel erfahren: Es braucht eine ausreichend gute Semantik, die Anwendungen dürfen nicht zu komplex aufgebaut sein, die Inhalte müssen interessant sein und das ist für jede Person u. U. etwas ganz anderes. Und parallel dazu haben meine Patient:innen mit mir alle möglichen Anwendungen erprobt und für sich bewertet. Da ich irgendwann sehr spezifische Vorstellungen davon hatte, was es braucht, um mit digitalen Geräten wirksame Sprachtherapie anbieten zu können, habe ich nach viel Überlegung beschlossen, solche Inhalte selbst zu erstellen und diese dann auch anderen Kolleg:innen zur Verfügung zu stellen.
Ich bin davon überzeugt, dass es zukünftig selbstverständlich sein wird, digitale Materialen neben den bisherigen in unser therapeutisches Handeln zu integrieren. Was fehlt, sind spezifische digitale Materialien, die linguistisch kontrolliert sind und individuell an das Störungsprofil angepasst werden können. So wie wir es in der Therapie nun eben machen: Für jeden das Passende auswählen, je nach Fähigkeiten, Schwierigkeit und Zielsetzung.